(veröffentlicht auf cashkurs.com am 15.02.2019)
2003 erschien eine von der Agentur Evers&Jung (Hamburg) erarbeitete und in der Politik vielbeachtete Studie zur finanziellen Bildung in Deutschland. Seitdem ist – wen wundert es – NICHTS! passiert. Für alles zu haben, aber zu nichts zu gebrauchen? Ist Deutschland ein Land der finanziellen Analphabeten?
Als ehemaliger Banker und auch in den letzten 13 Jahren als Honorarberater habe ich immer wieder erfahren müssen, wie gering das finanzielle Basiswissen vieler Bürger doch oftmals ist. Wie wenig sie sich mit ihren eigenen Finanzen beschäftigen und wie gutgläubig sie daher (teils auch blind) ihren Bank- oder Finanzberatern vertrauen.
Woran liegt das?
Sind Finanzthemen so abstrakt, so kompliziert, als dass es sich nicht lohnt, sich eingehender damit zu beschäftigen. Oder spricht man aus Tradition oder falsch verstandener Scham einfach zu wenig, oder gar nicht über Geld?
2009 fand in Berlin eine Fachtagung zum Thema „Anforderungen an die Finanzvermittlung – Verbraucherschutz im Zeichen der Finanzmarktkrise“ statt, zu der Ilse Aigner (damalige Verbraucherschutzministerin) bat. Ich war damals eingeladen, als die oben genannte Studie (http://tk.eversjung.de/www/downloads/kanon_broschuere_druckversion.pdf) mit viel Enthusiasmus einer großen Anzahl von Politikern, Vertretern der Finanzwirtschaft und Verbraucherschutzorganisationen vorgestellt wurde.
Eine Aufbruchsstimmung machte sich bei mir breit. Verbraucher müssen mehr informiert und aufgeklärt werden – am besten schon in der Schule beginnend. Die Beratungsqualität muss sich nachhaltig verbessern, Kostenstrukturen bei Finanzprodukten müssen transparenter, die Honorarberatung massiv gefördert und der Interessenskonflikt zwischen Kunden und Bankeninteressen damit aufgelöst werden. Juchhuuu…
Doch schon in der ersten Pause der Fachtagung hat mir ein Mitarbeiter des Bildungsministeriums hinter vorgehaltener Hand mitgeteilt, dass die Erkenntnis, finanzielle Bildung müsse schon in der Schule beginnen, einen langen Zeitraum bis zur Umsetzung benötige. Berlin habe keinen Einfluss auf die Bildungspolitik der Länder. Die vielen „Einzelkönige“ vor Ort wären für die Umsetzung zuständig, da Bildungspolitik Ländersache ist. Was dieser Satz bedeutet, habe ich in Gesprächen mit dem Bildungsministerium von Mecklenburg-Vorpommern am eigenen Leib erfahren. Doch dazu kommen wir in meinem nächsten Beitrag.
Es geht um Millionen!
Gut zwei Mio. EUR kann ein gut ausgebildeter Arbeiter/Angestellter in seinem Erwerbsleben verdienen (brutto versteht sich). Ein Teil davon geht für Sozialabgaben und Steuern weg. Der Rest verbleibt zur eigenen Verwendung. Da jeder verdiente Euro nur einmal ausgegeben werden kann, ist es notwendig zu entscheiden, wofür ich ihn ausgebe. Ob für Konsum, Risikoabsicherung, Kredit oder Sparanlagen.
Was ist finanzielle Bildung?
Sie ist nicht – wie von den meisten, mit denen ich darüber gesprochen habe, angenommen – die Vermittlung von Produktwissen. Also nicht die Antwort auf die Fragen: „Wie funktioniert eine Versicherung?“, „Wie investiere ich am besten mein Geld?“ oder „Wie finde ich die besten Kreditkonditionen?“. Das wäre so, als ob ich einem Kleinkind das Fahrradfahren beibringen möchte, bevor es das Laufen gelernt und ein Gefühl für das Gleichgewicht bekommen hat.
Finanzielle Bildung soll den Bürger befähigen, seine eigene finanzielle Situation richtig zu erfassen und zu bewerten, finanzielle Ziele definieren und Handlungsalternativen abwägen zu können. Im Unterschied zu der bisher meist produktorientierten Systematisierung deckt diese Herangehensweise auch Themen ab, die mit der konventionellen Produktlogik nicht erfasst werden.
Der richtige Umgang mit Finanzen hat zu über 70% mit Psychologie zu tun. Angst und Gier sind zwei völlig menschliche Charaktereigenschaften, mit denen jeder anders umgeht, die jeder anders kontrollieren kann. Auch die eigene Einstellung zum Leben, zum Miteinander, zur Eigenverantwortung – also viele, ganz persönliche Eigenschaften – spielen eine nicht unwesentliche, vielleicht sogar die Hauptrolle bei der Bewältigung der eigenen Finanzen.
Denkbeispiel Autokauf
Wie schwierig es ist, Ziele richtig zu erkennen und zu definieren, zeigt folgendes Denkbeispiel: Was möchte ein Kunde, der sich im Autohaus Fahrzeuge anschaut? Was ist sein Ziel? Ein Auto kaufen, mögen die meisten denken. Ich sage NEIN!
Das primäre Ziel bzw. der eigentliche Wunsch ist, von „A“ nach „B“ zu kommen. Der Kunde ist jedoch - durch sein Umfeld, Werbung oder Erfahrungen geprägt und beeinflusst – der Meinung, dass ein Auto hier die richtige Lösung ist.
Er hat somit das wahre Ziel nicht erkannt, Alternativen (Fahrrad, Bus, Bahn, Carsharing, zu Fuß gehen…) nicht bedacht und die Kostenunterschiede nicht berücksichtigt. Gut für den Autohändler.
Das Umfeld, die Familie, Freunde - aber auch die Politik, die Werbung und der Drang nach vermeintlicher Unabhängigkeit, haben bei vielen von uns das Auto zu mehr gemacht, als es in Wirklichkeit ist. Heute verbirgt sich hinter einem Auto der Wunsch nach Status, Selbstverwirklichung, Mobilität, Flexibilität, Selbstbestimmtheit und und und…
So ist es auch bei den privaten Finanzen. Wir werden in unseren Entscheidungen immer wieder beeinflusst. Und das nicht immer positiv. An Informationen hapert es nicht. Das Internet ist voll davon. Doch woher sollen wir wissen, wonach wir suchen müssen, wenn wir noch gar nicht wissen, was wir wirklich wollen?
Ziele sind wichtig,
denn Sie geben uns Orientierung, Halt und Motivation. Wer keine Ziele hat, dem ist der Weg egal! Und wem der Weg egal ist, der ist anfällig für „Ablenkungen“, die links und rechts am Wegesrand warten. Die kosten im Idealfall nur Zeit – im schlechtesten Fall Zeit und Geld.
Finanzielle Bildung ist also Hilfe zur Selbsthilfe, ist die Vermittlung von Analyse- und Entscheidungskompetenzen, die Suche nach sich selbst, die Einstellung zu Dingen, die Motivation, seine finanziellen Angelegenheiten eigenverantwortlich in die Hände zu nehmen.
Umfrage wirft Fragen auf
Einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts NFO-Infratest zufolge gaben 66% der befragten Jugendlichen an, ihre „finanzielle Bildung“ von den Banken und Sparkassen erhalten zu haben, 57% von der Familie und 46% von Freunden und Bekannten - und nur drei Prozent aus der Schule. Die Medien tauchten gar nicht auf.
Auf die Frage, woher sie denn gerne Finanzbildung erhalten wollen, erwarten 72% der befragten Jugendlichen dieses von der Schule und 67% von den Medien.
Wie sehen denn die derzeitigen Konzepte von Politik und Medien aus, um dieser Anforderung zu entsprechen?
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