…nicht indem wir gut verdienen oder hohe Renditen erzielen. Ein Vermögen aufzubauen, erfordert mehr Selbstdisziplin als Anlageerfolg. Andreas Borsch widmet sich in diesem Artikel Denkfehlern beim Sparen und zeigt auf, dass richtiges Sparen mehr Lebensqualität erzeugen kann.
(Veröffentlicht auf cashkurs.com am 31.07.2024)
Ab einem gewissen Ausgabenniveau gibt man sein Geld nur noch fürs Ego aus. Wenn wir die menschlichen Grundbedürfnisse wie Nahrung, Schlaf, körperliches Wohlbefinden und das Sicherheitsbedürfnis (Familie, Freunde, Job …) befriedigt wissen, sind uns Ansehen, Wertschätzung und Prestige wichtig. Ganz oben in der Bedürfnispyramide steht neben dem Bedürfnis nach Unabhängigkeit das Ich-Bedürfnis, die Selbstverwirklichung.
Die Defizitbedürfnisse - auch physische Grundversorgung oder Mangelbedürfnis genannt - können nur gestillt werden, wenn der Mensch genug von diesem Gut bekommt. Ein grundlegendes Defizitbedürfnis ist zum Beispiel der Hunger. Wenn du genug gegessen hast, bist du satt und dein Hunger ist gestillt.
Wachstumsbedürfnisse – auch unstillbare Bedürfnisse genannt – sind sehr individuell. Dazu gehören u.a. Wertschätzung, Achtung, Prestige, Anerkennung, Selbstvertrauen und Erfolg. Aus diesen Bedürfnissen heraus ergeben sich viele Fehler beim Aufbau von Vermögen.
Die Grenzen zwischen diesen Defizit- und Wachstumsbedürfnissen sind teils fließend.
Hemmnis Ego
Ab einem relativ niedrigen materiellen Niveau sind wir bestrebt, dass das Ego mit dem Einkommen wächst. Man gibt Geld aus, um seinem Umfeld zu zeigen, was man hat bzw. was man hatte (Geld).
Die beste Lösung, die Sparquote zu erhöhen, ist nicht das Streben nach mehr Einkommen, sondern die Bescheidenheit.
Die Menschen mit den gesündesten Finanzen sind oft nicht die mit dem höchsten Einkommen, sondern die, denen es egal ist, was andere über sie denken.
Rendite durch Bescheidenheit
Stellen Sie sich vor, Sie möchten für 10.000 EUR eine sichere Rendite von 6 % nach Steuern erhalten. Das sind 50 Euro im Monat oder 12,50 Euro in der Woche. Überlegen Sie einmal, wofür Sie dieses Geld bisher ausgegeben haben? Eine Schachtel Zigaretten, eine Pizza beim Italiener oder ein Menü beim Food Giganten mit dem gelben M, 3 Becher Coffee to go, eine Spritztour mit dem Auto ohne Ziel …? Ihnen fallen sicherlich noch weitere Ausgaben ein, die – mit Abstand betrachtet - nicht zwingend notwendig waren.
Doch wir ticken anders. Wir werten eine „Belohnung“ durch andere (Bsp. Zinsen der Bank) oft höher als die Rendite durch Bescheidenheit.
Ich sehe regelmäßig Leute, die mit dem Auto zum Fitnesscenter kommen, die drei Etagen zum Studio mit dem Aufzug fahren, um sich dann auf den Stepper oder auf das Laufband zu stellen. Dabei gibt es bei uns viel Natur und wunderbare Laufstrecken. Gemeinsames Kochen zu Hause mit Freunden bei einem guten Glas Wein ist nicht nur deutlich günstiger als ein Restaurantbesuch. Es ist auch viel entspannter! Warum man einen Kaffee im Gehen trinken muss, erschließt sich mir auch nicht. Vielleicht brauchen Sie den gar nicht, wenn Sie sich einfach nur ein wenig mehr Zeit nehmen?
Ich schreibe keinem Menschen vor, wie er zu leben hat! Und sparen heißt nicht geizen! Sich einmal etwas Außergewöhnliches zu gönnen, kann Motivation und Ansporn für zukünftige Herausforderungen sein. Doch wenn dieses Außergewöhnliche zur Normalität oder Pflicht wird, verpufft der Effekt sehr schnell!
Laut Statista ist ein gutes Verhältnis zu den Kollegen für 52 % der Befragten die mit Abstand größte Motivation bei der Arbeit. Erst mit 33 % auf Platz drei findet sich ein höheres Gehalt als Motivation. Dennoch glauben viele Arbeitgeber, dass Sie ihre Mitarbeiter nur mit höheren Gehältern motivieren und ans Unternehmen binden können.
Ein gutes Arbeitsklima, gute Arbeitsbedingungen und die Anerkennung von erbrachten Leistungen, ein Chef mit Vorbildwirkung und gar ein „Danke“ von ihm wirken nachhaltiger als eine Gehaltserhöhung – vorausgesetzt, dass aktuelle Einkommen reicht mindestens für die Befriedigung der Grundbedürfnisse!
Selbstbestimmung – die unsichtbare Rendite auf Vermögen
Geld macht nicht glücklich. Es verschafft uns aber Sicherheit, Freiheit und Zeit. Wer nicht selbstbestimmt über die eigene Zeit verfügt, muss hinnehmen, was das Schicksal ihm gibt. Davon kann bestimmt jeder ein Lied singen, der zwar einen gut dotierten Job, aber kaum Zeit für seine Familie und Freunde hat.
Sicherheitspuffer
Eine gute Finanzplanung sollte auch für den Fall planen, dass der Plan nicht aufgeht.
Eine Börsenweisheit sagt: „Kaufe, wenn die Kurse fallen und verkaufe, wenn sie steigen“.
Viele Anleger machen jedoch genau das Gegenteil. Dabei sind Kursrücksetzer doch oft Kaufgelegenheiten. Risiko und Chance sind die zwei Seiten der gleichen Medaille. Doch nur mit ausreichender Liquidität können Sie diese Chancen - Risiko für den, der kein Geld mehr hat - auch nutzen.
Sie haben einen neuen Job gefunden, der Sie mehr befriedigt und glücklicher machen könnte als Ihr jetziger und mehr Freizeit verspricht? Leider wird er nicht so gut bezahlt wie Ihr aktueller?
Wenn Sie in der Vergangenheit Ihren Lebensstil stets Ihrem gestiegenen Einkommen angepasst haben, ist die Entscheidung für oder gegen den Jobwechsel um ein Vielfaches schwieriger, als wenn Sie in der Vergangenheit Ihren alten Lebensstil beibehalten und einen Teil der Einkommenssteigerung zum Aufbau einer Liquidität genutzt hätten. Da haben wir wieder das Problem mit dem Ego!
Der Wert von Vermögen hängt von den eigenen Bedürfnissen ab
Stellen Sie sich vor, Hans Lebemann und Hans Sparer haben die gleiche Ausgangssituation: Beide sind 25 Jahre alt, ledig und haben ein Einkommen von 60.000 EUR (brutto) pro Jahr und noch kein Vermögen. Ihre Lebenserwartung lege ich mit 90 Jahre fest.
Hans Lebemann ist der eindeutig erfolgreichere Anleger und erzielt auf seine jährlichen Überschüsse (vereinfacht Einkommen – Ausgaben) eine Rendite, die 5 % über der Rendite von Hans Sparer liegt. Hans Sparer ist jedoch der Bescheidenere von beiden. Sein Lebensstil kostet ihn nur 28.000 EUR im Jahr, im Gegensatz zu 36.000 EUR, die Hans Lebemann benötigt. Das sind 666 EUR Unterschied pro Monat, die Herr Lebemann mehr für sein „Ego“ ausgibt, Hans Sparer jedoch anspart!
Wer erzielt nun die höhere Rendite?
Hans Lebemann ist sich sicher, dass er der eindeutige Sieger sei, schließlich erzielt er einen um 5 % höheren Ertrag als Hans Sparer. Und das jedes Jahr! Hans Sparer sieht das hingegen ganz anders.
Hinweise zur Berechnung
Um die Berechnung einfach und frei von Annahmen und Spekulationen anzufertigen, habe ich eine Inflation, Gehaltssteigerung und eine Kostensteigerung von jeweils 0 % über den gesamten Betrachtungszeitraum angenommen.
Der Anlagezins von Hans Sparer beträgt 0 %, die von Hans Lebemann jedoch 5 % p.a.. Die Berechnung der Sozialabgaben und Steuern ist bei beiden Anlegern gleich. Die mit 67 Jahren zu erwartende Rente beträgt bei beiden 24.000 EUR pro Jahr.
Rendite Zeit
Hans Sparer sieht sich als Sieger. Allein aufgrund seines bescheideneren Lebensstils konnte er ein deutlich höheres (Zeit-) Vermögen aufbauen als Herr Lebemann. Und das alles, ohne eine Rendite erzielen zu müssen. Hans Sparer kann (trotz Abschlägen) bereits mit 63 Jahren in Rente gehen, ohne seinen Lebensstil ändern zu müssen. Das sind ganze 4 Jahre gewonnene Lebenszeit. Und die kann man nicht mit einer Rendite bemessen!
Herr Lebemann kann leider nicht so entspannt in die Zukunft schauen. Wenn die erhoffte 5 % (Mehr-) Rendite nicht jedes Jahr neu erzielt wird, scheitert die gesamte Lebensplanung! Hans Lebemann müsste seinen Lebensstil mit Rentenbeginn deutlich nach unten anpassen. Oder er geht länger arbeiten.
Egal, welche Annahmen wir nun für die nächsten 40 Jahre treffen. Ob die Inflation steigt oder fällt. Das Einkommen steigt oder gleich bleibt. Das wird am grundsätzlichen Ergebnis nichts ändern.
Sparen erfordert keinen konkreten Grund
Vermögen entsteht, wenn wir weniger ausgeben als wir einnehmen. Wir geben weniger aus, wenn wir nicht nach Gütern gieren, die uns nicht weiterbringen und nur nach außen zeigen sollen, wie erfolgreich wir sind.
„Wir kaufen Dinge, die wir nicht brauchen, um Menschen zu imponieren, die wir nicht mögen!“
Wir sparen für ein Auto, ein Haus, für die Altersvorsorge und sonst was alles. Diese Ziele brauchen wir aber nicht wirklich! Denn auf ein konkretes langfristiges Ziel zu sparen, macht nur dann Sinn, wenn die Welt vorhersehbar ist. Sie ist jedoch nicht vorhersehbar! Auch wir sind nicht vorhersehbar. Wir wollen uns weiterentwickeln, müssen uns ständig den sich ändernden Bedingungen anpassen.
Eine private Finanzplanung, wie sie viele Finanzdienstleister anbieten, scheitert regelmäßig an der Realität. Sie sind ein Mensch, ein Individuum! Ihr zukünftiges Leben passt in keine noch so ausgefeilte Tabellenkalkulation!
Eine Finanzplanung kann somit nur eine grobe Orientierung geben, Wechselwirkungen und mögliche Alternativen bei Ihren zukünftigen Finanzentscheidungen aufzeigen. Sie gibt Ihnen jedoch keine Garantie dafür, dass die heute auf dieser Grundlage getroffenen Entscheidungen sich morgen auch als die richtigen herausstellen.
Sparen ohne ein konkretes Ziel eröffnet uns ungeahnte Möglichkeiten. Es verleiht uns die Flexibilität abzuwarten, um Gelegenheiten zu nutzen, gibt uns Zeit zum Nachdenken, erlaubt uns, unser Leben ein Stück mehr in die eigenen Hände zu nehmen!
„Was heiß das für mich konkret!?“
Mit Geld richtig umzugehen und es für sich erfolgreich zu nutzen, hat mehr mit Psychologie zu tun, als viele glauben. Wir bemessen den Wohlstand von anderen daran, was wir sehen! Das wahre Vermögen liegt jedoch im Verborgenen.
„Dinge, die wir gekauft haben, ohne sie zu brauchen, kostete Geld, welches wir jetzt nicht mehr haben, um uns Entscheidungen zu ermöglichen, die unser Leben glücklicher machen!“
Nicht jedes „Finanzproblem“ kann und muss man mit einem Finanzprodukt lösen bzw. lösen wollen. Oft ist es die andere Einstellung zu Dingen, die uns das Leben leichter machen.
Gegen Rückenschmerzen hilft sicherlich eine Spritze. Die wirkt schnell, löst aber nicht das eigentliche Problem. Eine ausgewogene sportliche Betätigung ist die nachhaltigere, wenn auch langwierigere Lösung.
Inspiration zu diesem Artikel: „Über die Psychologie des Geldes“ (Morgan Housel)
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